Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem aktuellen Urteil vom 10.07.2024 (Az. VIII ZR 276/23) entschieden, dass keine Eigenbedarfskündigung für Nichten und Neffen ausgesprochen werden kann.
Im entschiedenen Fall ging es ganz konkret um eine Wohnung, die als Mietwohnung in eine Eigentumswohnung umgewandelt wurde. Zwei Neffen waren die ersten Erwerber der Eigentumswohnung. Dem Mieter der Wohnung wurde noch vor Ablauf der Sperrfrist gekündigt.
Hintergrund: Wird eine Mietwohnung nach der Überlassung an den Mieter in Wohnungseigentum umgewandelt und das Wohnungseigentum erstmals veräußert, bestimmt § 577a Abs. 1 BGB, dass der Erwerber sich auf die berechtigten Interessen nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 oder 3 BGB (also auch den Eigenbedarf) erst nach Ablauf von drei Jahren seit der Veräußerung berufen kann. Diese Zeitspanne bezeichnet man als Sperrfrist.
Die Neffen im entschiedenen Fall beriefen sich auf § 577a Abs. 1a BGB. Hiernach ist eine Eigenbedarfskündigung von dem oben genannten Grundsatz abweichend doch möglich, wenn der Erwerber „derselben Familie“ angehört.
Bisher war stets davon ausgegangen worden, dass mangels gesetzlich eindeutiger Definition des Begriffs der Familie, die „Familienangehörigen“ in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB zum Begriff der Familie zählen. Familienangehörige sind hiernach auch Nichten und Neffen, jedenfalls für den Fall eines besonderes Näheverhältnisses.
Dieser Einschätzung hat der Bundesgerichtshof nun eine Absage erteilt. Er meint, dass Eigenbedarf nur für einen ganz eng begrenzten Personenkreis möglich sei und zieht hierfür die Vorschriften über das Zeugnisverweigerungsrecht heran, § 383 ZPO, § 52 StPO.
§ 383 Abs. 1 ZPO lautet hier in den ersten Ziffern:
(1) Zur Verweigerung des Zeugnisses sind berechtigt:
1. der Verlobte einer Partei;
2. der Ehegatte einer Partei, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht;
2a. der Lebenspartner einer Partei, auch wenn die Lebenspartnerschaft nicht mehr besteht;
3. diejenigen, die mit einer Partei in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert sind oder waren;
§ 52 Abs. 1 StPO lautet:
(1) Zur Verweigerung des Zeugnisses sind berechtigt
1. der Verlobte des Beschuldigten;
2. der Ehegatte des Beschuldigten, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht;
2a. der Lebenspartner des Beschuldigten, auch wenn die Lebenspartnerschaft nicht mehr besteht;
3. wer mit dem Beschuldigten in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist oder war.
Nichten und Neffen werden von diesen Vorschriften mithin nicht erfasst.
Der Bundesgerichtshof begründet seine Entscheidung damit, dass der Gesetzgeber durch eine Privilegierung von Familienangehörigen im Rahmen des Zeugnisverweigerungsrecht auf die persönliche Verbundenheit und eine gegenseitige Solidarität abstelle.
Über diese dokumentierte Privilegierung hinaus sei eine Eigenbedarfskündigung nicht zu begründen. Dies selbst dann nicht, wenn zwischen dem Eigentümer der Wohnung der Nichte oder dem Neffen ein besonderes Näheverhältnis bestehe.
Autor: Christoph Schmitt